Empirische Abschätzung von Scherraten während der Förderung

Für die Dosierung von pharmazeutischen Produkten stehen verschiedene Technologien zur Auswahl. Welche weist die passende Scherrate auf?

Die Belastung von (pharmazeutischen) Medien wird häufig über die vorherrschende Schergeschwindigkeit in Strömungen bewertet. Handelt es sich um komplexe Geometrien, so ist die einfache Berechnung derselben nicht mehr realisierbar. Die Ausnutzung der thixotropen Eigenschaften von Laponit oder ähnlicher Strukturbildner ermöglicht die empirische Bestimmung von maximalen Scherraten in Apparaten. Durch rheologische Modellgleichungen werden die resultierenden spezifischen Scherraten für Schlauch-, Membran-, und Exzenterschneckenpumpen ermittelt und verglichen. Es kann gezeigt werden, dass die Exzenterschneckenpumpe bei gleichem Volumenstrom die geringste Scherrate aufweist. Darüber hinaus wird ein Vorschlag zur Bestimmung von Viskositäten für beliebige Nicht-Newton’sche Flüssigkeiten bei Förderprozessen eingebracht.

Viele Produkte der pharmazeutischen Industrie sind auf besonders schonende Förderung oder Abfüllung angewiesen, um Sicherheit, Stabilität und Wirksamkeit zu gewährleisten. Die Schnittstelle zur Biotechnologie stellt ebenfalls besondere Anforderungen an die Kompatibilität der Fördertechnologien beispielsweise in Form von sensiblen Zellen. Oft diskutiert wird ein Einfluss von Scherung auf pharmazeutische relevante Proteine, wobei sich der Fokus von Fragen zur Denaturierung zu einer allgemeinen Qualitätsbeeinträchtigung verschoben hat. Die Produktstabilität und damit die Patientensicherheit stehen dabei im Vordergrund. Aufgrund von Scherung können sich unter anderem die Phasen von Emulsionen trennen und somit die Haltbarkeit herabsetzen. Die Bewertung der Produktschädigung kann unter Umständen schwierig sein, da vielfach nur Langzeittests, Erfahrungswerte oder aufwändige Computersimulationen zu Ergebnissen führen.

Besonders bei komplexen Geometrien oder bewegten Teilen im Produktstrom sind schnell die Grenzen der Simulation erreicht. Es ist daher wünschenswert, einfachere Bewertungsmethoden zu finden, die Aufschluss darüber geben, welchen Belastungen Produkte ausgesetzt sind. Ein wichtiger Indikator für die Beanspruchung ist die Schergeschwindigkeit, im Folgenden auch als Scherrate bezeichnet. Sie beschreibt das Verhältnis von Fließgeschwindigkeit des Mediums zu einem Plattenabstand. Viele hochviskose Produkte weisen Nicht-Newton’sches Verhalten auf. Da die dynamische Viskosität als der Quotient aus Schubspannung und Scherrate definiert ist, ergeben sich auch Implikationen für präzises Dosieren und die Anlagenauslegung. Weist ein Medium beispielsweise scherverdünnendes Verhalten auf, so ist anzunehmen, dass das Produkt bei bewegenden Prozessschritten flüssiger ist und sich bei der Verarbeitung anders verhält. Ein Erkenntnisgewinn über die tatsächlichen Belastungen kann dadurch zur richtigen Gerätewahl und zur besseren Prozesssteuerung beitragen.

Rheologische Grundlagen

Die Rheologie beschäftigt sich mit der Deformation und dem Fließverhalten verschiedener Stoffe. Alle Körper besitzen einen elastischen und einen viskosen Anteil. Idealviskose Fluide werden auch als Newton’sche Flüssigkeiten bezeichnet. So ist Wasser annähernd idealviskos. Noch „flüssiger“ ist beispielsweise Mineralöl. Bei ihnen ändert sich die dynamische Viskosität nicht durch Veränderungen der Scherrate. Nicht-Newton’sches Verhalten hingegen zeichnet sich durch scherratenbedingte, veränderliche Viskositäten aus. Ein Beispiel dafür sind Cremes, die unter normalen Bedingungen eine gewisse Standfestigkeit aufweisen, unter Schereinfluss jedoch flüssiger werden und dadurch für eine bessere Benetzung der Haut sorgen. Dieses Verhalten kann sich sowohl als scherverdünnender, als auch als scherverdickender Effekt bemerkbar machen.

Abbildung 1: Schematische Viskositätskurve einer idealviskosen, Newton’schen Flüssigkeit
Abbildung 2: Schematische Viskositätskurve einer scherverdünnenden, Nicht-Newton’schen Flüssigkeit

Neben der Abhängigkeit von Scherraten zeigen viele Substanzen ein zeitabhängiges Verhalten. Diese Eigenschaften werden als thixotrop für zeitabhängig scherverdünnend und als rheopex für zeitabhängig scherverdickend bezeichnet. Thixotropie wird dadurch erklärt, dass ein Geflecht im Medium aus Strukturbildnern (z.B. Polymere) durch die Scherung reversibel aufgebrochen und so die Viskosität herabgesetzt wird. Strukturen sind dann in der Lage aneinander „vorbeizugleiten“.

Abbildung 3: Schematische Darstellung eines thixotropen Mediums unter dem Einfluss von Scherbelastung (1), sowie in der Erholungsphase ohne Scherbelastung (2)

Bei konstanter Scherrate stellt sich gegen Ende von Phase (1) in Abbildung 3 ein Plateauwert ein, der spezifisch für das Medium und die jeweilige Scherrate ist. Wird die Scherung unterbrochen, so erholt sich die Struktur (nahezu) vollständig. Ein Beispiel für ein thixotropes Medium ist Laponit-RD, welches in der Industrie häufig als Additiv eingesetzt wird, um die gewünschten Fließeigenschaften zu erzielen. In Wasser bildet es eine gelartige Suspension aus.

Modellierung Nicht-Newton‘scher Fluide

Es existieren mehrere mathematische Ansätze, um Fließverhalten zu beschreiben. Generell setzt die Anwendbarkeit der jeweiligen Modellgleichung bereits Kenntnisse über das Medium voraus. Sind kaum Informationen über das Produkt vorhanden, so sollte zuerst ein allgemeineres Modell betrachtet werden, das im späteren Verlauf eventuell vereinfacht und durch weniger Parameter beschrieben werden kann. Ein generalisiertes Modell ist beispielsweise durch die Gleichung von Herschel-Bulkley gegeben. Dieses Modell bezieht neben der Schubspannung τ und der Scherrate die Fließgrenze τ0, einen Konsistenzindex k und den Fließindex n in die Betrachtung mit ein.

Material und Methoden

Zur Ermittlung der rheologischen Parameter diente eine Suspension mit 4 % (w/v) Laponit-RD und „Molecular Biology Grade Water“. Um eine vollständige Strukturausbildung nach Ansetzen des Testmediums zu ermöglichen, wurde der Versuch erst nach 24 h Inkubationszeit gestartet. Die Bestimmung einer Referenzkurve erfolgte durch die Messung der dynamischen Viskosität bei steigenden Scherraten über 30 Datenpunkte im Bereich von 0,01 bis 100 1/s mit einem Rheometer. Dazu wurde etwa 1 ml der Suspension auf die Messplatte aufgebracht und mit dem Kegel-Platte System vermessen. Anschließend erfolgte die Bestimmung der pumpenspezifischen Scherraten. Je Pumpe wurden frische 50 ml der Suspension für 10 min bei einer Flussrate von 75 ml/min im Kreislauf gepumpt. Die gesamte Schlauchlänge ohne Pumpenkopf betrug dabei jeweils 50 cm.

Abbildung 4: Aufbau des Pumpversuchs: 10 min Pumpen im Kreislauf mit anschließender Auftragung auf die Messplatte des Rheometers

Der Probenauftrag und Start der Messung erfolgte möglichst verzögerungsfrei und ohne zusätzliche Scherung. Dazu wurde direkt aus dem Schlauchende (Pumpsil Prozessschlauch 3,2 x 1,6) auf die Messplatte dosiert und die Messung unmittelbar gestartet. Mit einer festgelegten rotatorischen Scherrate von 0,25 1/s wurde der erneute Strukturaufbau über eine Dauer von 375 s, bzw. 750 Messpunkte im Rheometer verfolgt. Die Temperatur betrug bei allen Messungen 20 °C.

Geräte zur rheologischen Versuchsdurchführung

Geräte Hersteller
Schlauchpumpe 323U/D Watson Marlow
Membranpumpe SIMDOS 10 FEM1.10KT.18S KNF
Pharma Dispenser (Exzenterschnecke) 2VPHD-12 ViscoTec
Pharmasteuerung ViscoDos PH ViscoTec
Rheometer MCR 302 Anton Paar
Kegel-Messsystem CP50-1 Anton Paar

Ergebnisse der Dosierversuche

Die Messdaten der Referenzkurve von 4 % Laponit-RD wurden zuerst mittels Herschel-Bulkley Modell angenähert. Das Modell liefert eine sehr gute Übereinstimmung mit dem gemessenen Werten. In diesem Fall kann die Anpassung auch durch eine Potenzfunktion, das sogenannte „power law“- Gesetz nach Ostwald – de Waele weiterhin vereinfacht werden. Das Bestimmtheitsmaß R2 beträgt für diese Anpassung 0,9999 und bestätigt damit sehr genau die Modellannahme. Durch die gefundene Funktion kann in dem betrachteten Scherratenbereich von 0,01 1/s bis 100 1/s jeder Scherrate eindeutig eine dynamische Viskosität zugeordnet werden.

Abbildung 5: Regression durch das Fluidmodell nach Herschel-Bulkley

Aus den Pumpversuchen geht hervor, dass es je Pumpe verschiedene spezifische Plateauwerte gibt, die bei den vorgegebenen Parametern erreicht werden. Die Startwerte der Strukturerholung in Abbildung 6 entsprechen dem Anfang der Phase (2) in der schematischen Darstellung von Abbildung 3.

Abbildung 6: Vergleich verschiedener Pumpentypen bezüglich ihrer spezifischen Scherraten

Etwa eine Sekunde nach dem Beginn der jeweiligen Messung kann der ursprüngliche Plateauwert angenähert abgelesen werden. Das thixotrope Verhalten von Laponit-RD ermöglicht diese Messung, da es länger dauert, bis sich die Struktur des Mediums wieder erholt hat. Für die Nullprobe beträgt der Mittelwert der dynamischen Viskosität aller Messpunkte ab einer Sekunde nach Messbeginn 167,0 Pas. Wird die Formel der dynamischen Viskosität (s.o.) nach der Scherrate aufgelöst und entsprechend eingesetzt, erhält man 0,27 1/s als Scherrate für die Nullprobe. Dieses Ergebnis weicht nur geringfügig von den erwarteten 0,25 1/s ab, die durch am Gerät eingestellte Messparameter festgelegt waren. Ähnlich wurde mit allen Messdaten für die verschiedenen Pumpen. Scherraten, die eine Sekunde nach Messbeginn berechnet wurden, ergaben sich wie folgt.

Pumpenspezifische Scherraten

Probe Dynamische Viskosität [Pas] Scherrate [1/s]
Membranpumpe 4,99 10,29
Schlauchpumpe 16,55 2,97
Exzenterschneckenpumpe 81,17 0,57
Nullprobe 167,00 0,27

Die Belastung durch Scherung ist folglich durch eine Membranpumpe am höchsten und bei einer Exzenterschneckenpumpe am geringsten. Im Mittelfeld liegt die Schlauchpumpe.

Bewertung der Scherratenbestimmung

Die Ergebnisse können dazu verwendet werden, die Medienbeanspruchung durch verschiedene Pumpentypen empirisch zu bewerten. Eine genaue Aussage zu den Scherraten ist dabei vom getesteten Medium abhängig. Laponit bietet sich aufgrund der guten thixotropen Eigenschaften für die Auswertung an. Die Methode kann grundsätzlich auf alle Medien angewandt werden, die über ein thixotropes oder rheopexes Verhalten verfügen. Es gilt dabei zu beachten, dass äußere Einflüsse auf die Messung so gering wie möglich gehalten werden müssen. Besonders kritisch zu bewerten ist der Zeitfaktor. Eine Messung muss unmittelbar nach dem Verlassen der Pumpe erfolgen, da dieser Zeitpunkt als Ausgangswert für die weitere Berechnung genutzt wird.

Ein langsames Erholungsverhalten ist vor Allem im Anfangsbereich unmittelbar nach dem Ende der Scherbelastung vorteilhaft. Weiterhin ist darauf zu achten, dass das Medium über einen längeren Zeitraum (in diesem Fall mindestens 10 min) im Kreislauf gepumpt werden muss, um den tatsächlichen, pumpenspezifischen Wert für die Scherrate ermitteln zu können. In einem realen Prozess ist es sinnvoller, die Messung direkt nach dem zu untersuchenden Prozessschritt durchzuführen, ohne einen Kreislauf einzubinden. Dadurch werden die tatsächlichen Bedingungen berücksichtigt. Gewöhnlich werden Scherraten nur für einfache Rohrgeometrien und Bauteile berechnet, um Auslegungsfragen zu klären. Die Scherrate dient als eine Maßzahl für die Belastung und ist wegen des Zusammenhangs mit der dynamischen Viskosität zu berücksichtigen.

Folgen für die Anlagenauslegung

Die Stärke der empirischen Bestimmung von Viskositäten mittels thixotroper Medien liegt in der „Speicherung“ der Information. In Rohrleitungen kann die dynamische Viskosität relativ leicht berechnet werden. In komplexeren Apparaten wird die Abschätzung schwierig. Es sollte möglich sein, für ein beliebiges Medium eine Kurve der dynamischen Viskosität gegen die Scherrate (siehe Abbildung 5) aufzunehmen und mit der Kurve des Referenzmediums (hier Laponit) zu vergleichen. Dadurch kann die entsprechende Viskosität des beliebigen Mediums bestimmt werden. Dieses Vorgehen muss durch weitere Versuche validiert werden. Zur Überprüfung der Gültigkeit kann ein Druckverlust-Experiment mit definierter Rohrleitung und Volumenstrom durchgeführt werden. Nach dem Gesetz von Hagen-Poiseuille kann so die theoretisch berechnete Viskosität überprüft werden. Kann dieser Zusammenhang bewiesen werden, so ist es möglich Anlagen, ohne die Anwendung von computergestützten Strömungssimulationen genauer auf das Medium abzustimmen und ggf. auszulegen. Somit kann Material eingespart und Produkte effizienter und schonender verarbeitet werden.

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